Die Furcht des Herrn 3.2.02 M/A

 

E.

Wir haben eine Zeit der Enttabuisierung hinter uns. Nachdem im Mittelalter wissenschaftliche Erkenntnisse unter der totalen Kontrolle der Kirche standen, kam es in der Aufklärung zur Hinterfragung von vorher festgelegten Tabus über Glauben und Leben. Das 20.Jahrhundert entzauberte die mit Autoritätsgefügen verbundenen gesellschaftlichen Stützen der politischen Macht und der Familien. Die sexuelle Revolution brach endgültig mit moralischen Tabus, inzwischen ist das Leben selbst und die Entstehung des Menschen entzaubert, entschlüsselt und entgegen dem Wort aus Ps.139 („Du hast mich im Verborgenen gemacht“) ans Licht vor die Linse gezerrt und dem Zugriff des Menschen bis hin zur Nachahmung des Schöpfers ausgeliefert.

 

I.

Tabus und die Unterscheidung von heilig und unheilig.

Das Vorhandensein von Tabus setzt ein Verständnis und Unterscheidungsvermögen von heilig und unheilig voraus. Es werden heilige, nicht hinterfragbare Werte angenommen, die als unantastbar hoch gehalten werden. Natürlich entstehen nicht nur Probleme, wo es keine Tabus mehr gibt, sondern auch da, wo es unzutreffende, d.h. von Menschen erdachte, und zutreffende gibt, die jedoch zu einer Spaltung in mehrere Lebenswelten (heilig und unheilig, sakral – profan, Sonntag und Alltag) und insofern Entfremdung des einen vom andern führen können.

Die Bibel lehrt nicht die Spaltung, sondern die Unterscheidung: Mal.3,13-24.

Gott macht diese Unterschiede und will sie offenbar machen und möchte, dass wir als Priester diese Unterschiede für unsere Umgebung erkennenlassen: Hes.22,26.

Das ist ein Lern- und Erziehungsprozess, auch und gerade für langjährige Christen, die sich in einer guten Weise an den Umgang mit Gott und ewigen Werten wie Bibel, Gemeinde, Gaben des Geistes gewöhnen und doch achtgeben müssen, dass all dies nicht gewöhnlich ist und wird.

In unserer tabulosen Welt ist es aber auch ein Lernprozess, die schleichenden Übergänge zu erkennen und Grenzen zu ziehen, z.B. zwischen Spaß und Spott, der auf Kosten einzelner geht, und zwischen Spott und Lästerung, die auf Kosten der Heiligkeit des Namens Gottes geht.

Wir haben einen wunderbaren Gott, der uns nah sein will, das hat er in Jesus bewiesen, und der unsere Nähe schätzt. Wir dürfen „Abba, Vater“ zu ihm sagen; und doch sollen wir nie vergessen, wer Er ist: der Herr Zebaoth, der Himmel und Erde gemacht hat und erhält. Dass Er heilig ist, soll nicht dazu führen, dass wir uns von Ihm fernhalten, sondern dass wir mit Ihm Gemeinschaft haben und seiner Heiligkeit teilhaftig werden. Jedesmal wenn wir zu Ihm kommen, sollen wir vor Augen haben, dass er uns allein durch Jesus und sein Blut als gerecht ansieht. Wir dürfen mit Gott sprechen wie mit einem Menschen und dabei immer daran denken, dass er kein Mensch ist, sondern der heilige Gott.

Übrigens bedeutet den Unterschied zwischen heilig und unheilig zu machen auch, dass wir seine Kinder, unsere Geschwister mit anderen Augen betrachten als Ungläubige. Nach dem Wort Gottes soll sogar unsere liebevolle Zuwendung zuerst und „zuallermeist an den Glaubens Genossen“ geschehen. Der Maßstab Jesu im Gericht ist das Verhalten seinen geringsten Brüdern gegenüber, nicht irgendwelchen anderen Menschen.

Wir sind Heilige Gottes, so werden sogar die berüchtigten Korinther von Paulus angesprochen; damit ist also gemeint, dass sie nicht sich selber gehören, sondern dem, dem sie ihr Leben übergeben haben. Auch beim Abendmahl kommt es auf die richtige „Beurteilung“ des Leibes des Herrn an, was sich nicht nur auf das gesegnete Brot, sondern auch auf die Gemeinde bezieht, die eben nicht ein Kegelclub, sondern der Leib des Herrn ist. Daher kritisiert Paulus Verhaltensweisen in Korinth, die nicht zu einer Gemeinde passen und etliche unwürdig gemacht haben, das Abendmahl zu nehmen, weil sie den Leib des Herrn nicht zutreffend unterschieden haben von anderen Gemeinschaften.

 

II.

Die Furcht des Herrn als Schlüssel dafür, heilig und unheilig unterscheiden zu können.

Die Furcht des Herrn scheint keine neutestamentliche Botschaft zu sein. Heißt es doch: Wo der Geist des Herrn ist, ist Freiheit (2.Kor.3,17). Aber was ist damit gemeint? Doch nicht die Freizügigkeit, die zum Deckmantel der Bosheit wird (1.Petr.2,16). Freiheit heißt doch auch, den Mut zur Entscheidung zu haben, ohne Menschenfurcht in der Furcht des Herrn.

Dem Gesalbten des Herrn wird der Geist des Herrn zugesagt (Jes.11,1-2), der die Eigenschaften von Weisheit, Verstand, Rat und Kraft, Erkenntnis und Furcht des Herrn vereinigt. Wie bei der Frucht des Geistes wachsen diese Wesenszüge gleichmäßig heran. Gerade Verantwortungsträger in Politik, Gemeinde und Familie tun gut daran, sich nach der Furcht des Herrn auszustrecken, ja Wohlgefallen an ihr zu finden (Jes.11,3). Wenn der Geist der Weisheit auf mir ruht, habe ich auch Furcht des Herrn und umgekehrt: Wenn ich durch den Geist Gottes Furcht des Herrn habe, ist das der Schlüssel für zunehmende Weisheit in meinem Leben. So ist Weisheit und Furcht des Herrn ein Wachstums- und Erziehungsprozess (Spr.16,33). Der Anfang der Weisheit lässt sich allerdings nicht überspringen oder nachholen: Spr.1,7. Das ist ein Grund, warum es viele clevere und intelligente, aber so wenige weise Menschen um uns herum gibt, weil es schon am Anfang der Weisheit mangelt.

Spott und Unbelehrbarkeit und Oberflächlichkeit stehen gegen Weisheit und Erkenntnis, aber auch gegen die Furcht des Herrn auf: Spr.1,22-23.29-31. Dabei bieten Weisheit und Furcht des Herrn Schutz vor Fehlentscheidungen und -entwicklungen: Spr.14,26-27. Mit einiger Übung kann ich bei meinen Entscheidungen erkennen, ob ich damit die Furcht des Herrn anziehe oder verwerfe.

In Hebr.11-12 können wir einiges über die Furcht des Herrn lernen:

Hebr.11,7: Noah war beim Bau der Arche von Furcht bewegt/motiviert; das war keine lähmende Angst wie bei dem Gleichnis von den anvertrauten Pfunden, sondern die Erschütterung darüber, ein Teil des Plans Gottes mit seiner Generation zu sein, Zeuge von Gnade und Gericht am eigenen Leib zu werden. Die Gnadenzusage Gottes an ihn und seine Familie hat ihn mit Ehrfurcht erfüllt, gleichzeitig die Sorge, das richtige zu tun, den Plan Gottes nicht zu verpassen oder zu vereiteln, nicht zu versagen, was gleichzeitig Auswirkungen auf andere haben würde.

Hebr.11,23: Die Eltern des Mose fürchteten mehr, das Gebot Gottes zum Schutz des Lebens als das Gebot Pharaos zu dessen Zerstörung zu übertreten. Hier sehen wir, dass Gottesfurcht stark macht gegen Menschenfurcht. Das gleiche gilt für Mose selbst:

Hebr.11,25: Moses Ehrfurcht vor dem unsichtbaren Gott war größer und seine Sorge, in die Sünde Ägyptens hineingezogen zu werden und einzuwilligen, als die Furcht vor dem Zorn Pharaos, der ihn später tatsächlich traf. Hier sehen wir, dass Ehrfurcht mit dem Ernstnehmen des unsichtbaren Gottes und unsichtbarer Realitäten zu tun hat. Das hat letzten Endes nicht nur Ägypten z.Zt. des Mose, sondern viel später das römische Weltreich in die Knie gezwungen. Dies Haltung Moses ist uns bereits von Josef im Hause Potiphars bekannt, der mehr Furcht hatte, gegen Gott zu freveln als von Potiphar od. seiner Frau Angst gemacht zu bekommen.

Hebr.12,9: Wie wir gesehen haben, dürfen wir einen sehr vertrauten Umgang mit Gott als unserem Vater haben; das muss aber nicht unseren Respekt vor ihm schmälern. Hier sehen wir, wie unvollständige oder verzerrte Vaterbilder uns den Blick für den liebevollen und doch zu fürchtenden Gott versperrt haben.

Hebr.12,18-24: Uns soll klar sein, dass wir in einer gewaltigen Versammlung stehen, nicht nur in dieser Welt, sondern generationenübergreifend umgeben mit einer Wolke von Zeugen, aber auch von Myriaden heiliger Engel Gottes; das ist doch ehrfurchtgebietend. Schon bei der Offenbarung Gottes am Sinai mussten Grenzen/Tabus beachtet werden, wie viel mehr von uns, die wir in diesen gewaltigen Realitäten stehen. Daher sollen wir Gott nicht oberflächlich, leichtfertig, sondern in Ehrfurcht und Scheu dienen (V28). Die Gemeinde Gottes ist nicht eine Clique, ein Club, ein Dienst ist nicht ein Hobby od. ein Terrain zur Selbstverwirklichung, eine Familie ist kein Egotrip. All das kann passieren, wenn wir uns nur dem sichtbaren verpflichtet fühlen und die Dimension Gottes in allem aus den Augen verlieren.

 

 

III.

In gutem Sinne Tabus hochhalten und aufrichten.

Tabus existieren von zwei Seiten aus: In Bezug auf die Überschreitung der Grenze zum Heiligen und zum Unheiligen. Wie gesagt gibt es Scherze, die den Namen Gottes in den Dreck ziehen. Der Name Gottes ist unantastbar und insofern tabu für Quatsch. Die andere Tabuzone wird von innen her angetastet, also: Ich befinde mich im Schutzbereich der Ehrfurcht und Gebote Gottes. Wenn ich die Gebote Gottes missachte, übertrete ich die Grenze. Gemäß den 10 Geboten ist es tabu, zu lügen, den Besitz und Partner eines anderen zu begehren und zu stehlen, die Eltern zu erniedrigen und zu verachten. In Verbindung mit dem Sabbatgebot sehe ich für neutestamentliche Christen eine individuelle Tabuzone, für die ich mich entscheide und festlege (was auch mal geändert werden kann), z.B. in bezug auf Sonntag, Versammlungen, Hauskreise, Gebetsversammlungen, meine persönliche Stille Zeit, meinen Zehnten; für mich heilige Werte, die ich nicht anzutasten wage. Das alles ist natürlich nur solange gut, wie es Ausdruck der Ehrfurcht vor Gott und nicht der Gesetzlichkeit und Verdammnis ist.

Ein geistliches Tabu sind auch Geheimnisse mit Gott, worüber Jesus sagt, dass wir das Heilige nicht den Hunden geben und unsere Perlen nicht vor die Säue werfen sollen. Diesen Fehler hat König Hiskia gemacht, als er die heiligen Tempelschätze gottlosen Menschen vorgeführt hatte (2.Kön.20,15-17). Tabus haben auch mit Intimität mit Gott zu tun, die ich nicht mit jedem teilen würde. Ist das nicht wunderbar, dass wir auch Geheimnisse mit Gott haben dürfen, die wir nicht so ohne weiteres preisgeben brauchen. Jesus lehrt deshalb auch, dass wir die Tür zu unserer Gebetskammer abschließen sollen in der Erwartung, dass Gott ins Verborgene sieht und handelt.

 

Schluss

Zum Schluss eine Frage:

Wenn die Furcht des Herrn so elementar wichtig ist, warum heißt es dann in 1.Joh.4,17-19, dass die völlige Liebe die Furcht vertreibt. Am Anfang der Weisheit steht die Furcht, am Ende die Liebe. Am Anfang handeln wir wie Noah von Furcht bewegt, am Ende, wenn die Liebe in uns ausgereift und zum Ziel gekommen ist, von Liebe bewegt, die auch fürchten kann, den Geliebten zu verletzen oder enttäuschen, aber doch insgesamt ein stärkeres Motiv ist als die Furcht des Herrn. Wenn wir in der Ehrfurcht vor Gott voranschreiten, werden wir auch lernen können, ihn immer mehr zu lieben.